Das diesjährige Symposium der SGAD am SGPP-Jahreskongress, der vom 12. bis 13. September 2024 in Bern stattfand, beleuchtete die Depression aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Im Fokus standen drei Vorträge: Zuerst stellte Dr. med. Joe Hättenschwiler von Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich ZADZ AG das Update der Behandlungsempfehlungen der unipolaren Depressionen mit allen Neurungen für die Fachpersonen in Praxis und Klinik vor. Dann ging Prof. Dr. med. Annette Brühl von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK Basel) die psychiatrischen Differentialdiagnosen von Depressionen ein. Zum Abschluss thematisierte Dr. med. Michael Colla von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK Zürich) die sexuellen Nebenwirkungen von Antidepressiva. Durch das Symposium führte Dr. Joe Hättenschwiler.
Update Behandlungsempfehlungen unipolare Depression –Neuerungen für den Praktiker
Dr. med. Joe Hättenschwiler, Zürich
Die unipolare Depression ist eine häufige Erkrankung, die sich oft als therapieresistent erweist. Ihr Verlauf ist häufig rezidivierend und chronisch. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie liegt in einer leitliniengerechten Behandlung. Die 2016 publizierten Behandlungsempfehlungen der unipolaren Depression der Schweizerischen Gesellschaften für Angst und Depression (SGAD), für Biologische Psychiatrie (SGBP) und für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) wurden 2024 aktualisiert. Die Überarbeitung basiert auf neuen S3-Leitlinien sowie weiteren internationalen Leitlinien.
Dr. Joe Hättenschwiler startete seine Präsentation mit einem Überblick zu den wichtigen Neuerungen: Dazu gehören die Diagnostik nach ICD-11, die Therapieprinzipien der Psychotherapie analog zu den bereits zuvor vorhandenen Inhalten zur Pharmakotherapie, verschiedene Massnahmen bei Nichtansprechen der Therapie sowie die Empfehlungen zum Einsatz von Internet- und mobilbasierten Interventionen. Ebenfalls neu sind die Empfehlungen beim Absetzen von Antidepressiva (AD), Entscheidungen bezüglich Arbeitsfähigkeit und die, aufgrund von neu publizierter Studienresultaten, aufgewerteten Empfehlungen zur Esketamin-Therapie. Zudem wurden einige ernährungsbasierte Grundsätze und die Lichttherapie bei Depressionen ohne saisonales Muster neu in die Empfehlungen aufgenommen. Inhaltlich angepasst wurden verschiedene 2016 publizierte Empfehlungsgrade für einige bekannte Strategien: So wird bei Nichtansprechen von AD neben den bestehenden Massnahmen die Kombination mit Psychotherapie empfohlen und die repetitive Magnetstimulation (rTMS) erhielt ein Upgrade des Empfehlungsgrades bei Therapieresistenz; sie wird neu auch als Add-on zur bestehenden Therapie empfohlen.
Anschliessend referierte Dr. Hättenschwiler ausführlich über die Akutbehandlung der unipolaren Depression und zeigte die Auswirkungen der genannten Neuerungen in der Praxis auf. Er betonte die Bedeutung einer gründlichen Abklärung, ging auf die vier Grundelemente der psychiatrischen Therapie ein, wobei die Schwere der depressiven Episode die Intensität der therapeutischen Massnahmen bestimmt. Im Anschluss widmete er sich der medikamentösen Behandlung und informierte umfassend über die verschiedenen AD und möglichen Strategien bei nicht-Ansprechen auf eine AD-Monotherapie.
Depression — psychiatrische Differentialdiagnosen
Prof. Dr. med. Annette Brühl, Basel
Prof. Annette Brühl begann ihr Referat mit einem kurzen Überblick und einigen Zahlen zu depressiven Erkrankungen und Komorbiditäten. Komorbiditäten sind bei depressiven Erkrankungen nicht nur häufig, sondern eher die Regel: So gehen Angsterkrankungen einer Depression meist voraus und gelten auch als ein Risikofaktor für die Rekurrenz einer Depression. Zudem verschlechtert sich bei körperlichen Erkrankungen deren Outcome bei einer komorbiden Depression. Auch die neue S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) fordert die Ärzt:innen auf, bei Nichtansprechen auf Antidepressiva und Psychotherapie die Diagnose zu überprüfen, nach Komorbiditäten oder depressiogener Medikation zu suchen – also lieber noch einmal genau hinzuschauen und nicht bei der ersten Diagnose stehen zu bleiben. Denn zahlreiche somatische Erkrankungen können als Differentialdiagnose einer Depression in Frage kommen, darunter endokrine, neurologische sowie kardiovaskuläre Erkrankungen. Zudem begünstigen psychiatrische und körperliche Komorbiditäten die Therapieresistenz und gehen mit einem ungünstigeren Verlauf und einem erhöhten Chronifizierungs- und Suizidrisiko einher.
Im Anschluss referierte Prof. Brühl über ein leitliniengerechtes Vorgehen bei Depressionen, das zunächst eine adäquate Diagnostik bei der Erstdiagnose erfordert. Dabei sollte eine strukturierte Diagnostik z. B. mittels eines «MINI» (Mini International Neuropsychiatric Interview) erfolgen, um innerhalb von 15-20 Minuten ein grosses Spektrum möglicher Störungen strukturiert zu erfassen und bei Verdacht auf Komorbiditäten oder zugrunde liegende somatische Erkrankungen eine weiterführende Diagnostik durchzuführen.
Sexuelle Nebenwirkungen von Antidepressiva
PD Dr. med. Michael Colla, Zürich
Medikamenteninduzierte sexuelle Funktionsstörungen werden besonders häufig im Zusammenhang mit der Einnahme von Antidepressiva (AD) beschrieben, leitete Dr. Michael Colla seinen Vortrag ein. Allerdings sind auch bei unbehandelten affektiven Erkrankungen sexuelle Funktionsstörungen weit verbreitet. Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen umfassen in erster Linie eine Dysregulation unterschiedlicher Neurotransmittersysteme, insbesondere von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Zudem spielen eine Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, eine Reduktion der Sexualhormone (Testosteron und Östrogen), vaskuläre und metabolische Faktoren sowie psychologische Mechanismen und medikamentöse Nebenwirkungen eine Rolle.
Unter einer AD-Therapie treten bei etwa 60 % der Patient:innen sexuelle Funktionsstörungen auf. Bei SSRI und SNRI liegt die Häufigkeit dieser Störungen zwischen 25 % und 73 %, während Substanzen wie Moclobemid, Mirtazapin, Bupropion, Vortioxetin und Agomelatin eine geringere Inzidenz aufweisen. Die Ursachen für diese durch AD induzierten Störungen sind auf serotonerge und noradrenerge Dysregulationen, dopaminerge Suppression, hormonelle Veränderungen und vaskuläre Effekte zurückzuführen.
«Was können wir nun tun?», fragte Dr. Colla. Mögliche Therapieansätze bei medikamenteninduzierten sexuellen Funktionsstörungen umfassen Psychoedukation und Massnahmen zur Verbesserung der psychosexuellen Gesundheit wie körperliche Aktivität und Entspannungstechniken. Auch Sexualtherapie und spezielle Psychotherapien kommen zum Einsatz. Beim Watchful Waiting berichten 14–20 % der Betroffenen innerhalb von sechs Monaten von einer partiellen und 6–10 % von einer vollständigen Besserung. Weitere Ansätze wie das Drug Holiday, die schrittweise Dosisreduktion (Downward Titration), ein Wechsel des Antidepressivums (Switching) und Add-on-Therapien mit Substanzen wie Bupropion, PDE-5-Inhibitoren, Mirtazapin, Amantadin, Ginkgo, Safran oder Methylphenidat können ebenfalls zu einer Besserung führen.
Er schloss seine Präsentation mit einem kurzen Exkurs zur Post-SSRI Sexual Dysfunction, einer aktuell nicht unumstrittenen Sonderform der medikamenteninduzierten sexuellen Funktionsstörung, die auch nach dem Absetzen von SSRI auftreten kann und durch anhaltende sexuelle Funktionsstörungen gekennzeichnet ist.