Interview
Silvan Hässig ist Trainer, ganzheitlicher Ernährungscoach und hat als Blogger langjährige Erfahrung auf Instagram, Facebook und YouTube gesammelt. In seinem Beruf ist er ständig konfrontiert mit Erwartungen aus der Welt der sozialen Netzwerke und teilt auch auf seinen privaten Kanälen inspirierende Posts u.a. zu den Themen Ausgeglichenheit und Persönlichkeitsentwicklung.
Silvan, du bist sehr aktiv in den sozialen Netzwerken, gab es Momente in denen dir liken, posten und Storys erstellen zu viel wurden?
Ja, wenn ich zurück denke an meine Arbeit war es wirklich so, dass ich täglich gepostet habe. Da gab es auch Tage, an denen ich überhaupt keine Lust darauf hatte, aber gezwungenermassen postet man halt doch. Das ist mit der Zeit schon sehr viel geworden und ein gewisser Druck war immer spürbar. Der Druck war ein ständiger Begleiter, der einem im Nacken sitzt und unter dem man nicht Abschalten konnte. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viel und regelmässig gepostet wird, wird erwartet, dass man online ist, egal wie es einem gerade geht. Wenn man nicht richtig mit dem Druck umgeht, kann es sehr belastend sein.
Heutzutage gehe ich ganz anders damit um: Ich poste nur noch, wenn ich Lust habe. Das ist für mich wohl die grösste Veränderung, die ich durchgemacht habe.
Du bist selbst Ernährungscoach und Trainer. Wurdest du bei deiner Tätigkeit schon mal mit dem Thema "Körperideal" konfrontiert?
Ja, ich bin auch schon darauf angesprochen worden. Vor allem Jugendliche sind da betroffen, da sie oftmals gar keine Referenzen haben, wie die «wirkliche» Welt aussieht. Auf der einen Seite finde ich diese Entwicklung beängstigend und auf der anderen Seite bin ich froh um Bewegungen wie «#Mehrrealität» (auf Instagram).
Ich finde es unglaublich wichtig, dass man diese Problematik ernst nimmt. Ein Bild in den sozialen Netzwerken ist immer nur eine Momentaufnahme und dem nachzustreben ist schlichtweg nicht möglich. Ich finde es überhaupt nicht verwerflich, wenn man sich in Szene setzen möchte, trotzdem ist es wichtig, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. Ich finde es wichtig, Körperideale und Posts immer mit einer gewissen Distanz zu betrachten und sich selbst zu fragen: Was ist hier real? Oder was wurde besonders in Szene gesetzt? Grundsätzlich bin ich nicht dafür, solchen extremen Influencern zu entfolgen, jedoch sollte man sich immer bewusst sein, dass Baucheinziehen, Muskelspannung und Photoshop sehr viel bewirken können!
Ich folge z.B. gerne Leuten, die auch im normalen Leben authentisch sind und sich nicht für Social Media verstellen. Um das festzustellen braucht es eine gewisse Erfahrung und man darf die Posts aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Es ist ja immer nur einen Bruchteil einer Sekunde, die hier abgelichtet wird.
Wie wichtig ist es für dich, das „perfekte Bild“ zu posten?
Meiner Meinung nach gibt es gar kein perfektes Bild. Ich achte vor allem darauf, welches Bild mir persönlich am besten gefällt und nicht welches möglichst viele Likes bekommt. Wenn ein Bild authentisch ist, kann es auch mal ein Schnappschuss sein. Früher hat das schonmal länger gedauert, weil ich oftmals zu perfektionistisch sein wollte. Der Spruch «Done is better than perfekt» (= Lieber etwas tun, als es rauszuzögern, bis es «angeblich» perfekt ist) hat mir dann weitergeholfen. Für einen Post rechne ich heute nun mit ca. 5 bis 10 Minuten – das finde ich völlig vertretbar.
Likes und Follower werden heutzutage oft als Gradmesser für Anerkennung gesehen, siehst du das problematisch?
Leider sind Likes aber für viele Firmen ausschlaggebend, um eine Kooperation einzugehen. Das trägt nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Lage bei. Ich bin heute der Überzeugung, dass es für mich nicht mehr wichtig ist, wie viele Likes ich bekomme.
Ich möchte Menschen inspirieren und bekomme oft grossartige Nachrichten von Followern, die mir viel mehr wert sind als Likes. Für mich ist es schöner zu sehen, dass man ein Leben verbessert hat als tausende von Herzchen zu bekommen, ohne wirklich was zu bewirken.